Ausführungen zum Übungsweg

In den Seminaren „Geistiges Schauen“ ist der wesentliche Übungsinhalt, Betrachtungen an einem ausgewählten Objekt unter der Führung eines geeigneten Gedankens oder einer geeigneten Fragestellung durchzuführen. Diese Übungsweise entspricht im Wesentlichen auch der in der früheren „Initiatorischen Schulung“ beschriebenen Seelenübung von Heinz Grill und die hier zunächst fast trocken-lapidare Benennung sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Übung dem heutigen Menschen doch einiges abverlangt.

 

Der Ausgangspunkt zu der Übung ist einmal die Feststellung, dass der heutige Mensch zu einer detaillierten, konzentrierten Betrachtung einer Sache so leicht gar nicht mehr fähig ist. Zu schnell schweifen die Gedanken ab, zu schnell treten ablenkende Assoziationen des Gemütes auf, zu schnell ergibt sich eine Ermüdung und Ablenkung, so dass die Übung selbst in ihrer von Heinz Grill entwickelten Struktur erst einmal in die vorbereitende Anschauung genommen werden muss.

 

Aber ein weiterer faszinierender und somit motivierender Ausgangspunkt ist auch die Aussage von Heinz Grill, dass, wenn diese zunächst einmal auftretenden Hindernisse überschritten werden können und die Konzentrationsübung in ihren Stufen nachhaltig vollzogen wird, schließlich eine Verwandlung an dem gewählten Objekt, eine sogenannte „Transsubstantiation“ stattfindet, so dass die Übung in ihrer Bedeutung über den rein äußeren Erkenntnisgewinn also weit hinaus geht.

 

Der Aufbau der Konzentrationsübung soll also im Folgenden noch einmal beschrieben und danach weiterführende Fragen herangeführt werden: Zeichnung: Autor

 

 

Die Unterbrechung des gewöhnlichen Gedanken- und Gefühlsstromes:

Nach der Auswahl des Objektes oder der Sache ist es zunächst wichtig, diese wirklich in der Außenbeobachtung zu halten, das heißt, diese genau zu betrachten und zu beschreiben und alle Formen von „das kenne ich schon“ oder von aufkommenden vorschnellen Assoziationen, Gefühlen oder gar schon bestehenden Urteilen erst einmal zurückzuweisen.

 

Die beschreibende Rückerinnerung: Im nächsten Schritt baut man den ausgewählten Inhalt rein aus der Erinnerung nochmals möglichst detailgetreu auf, so dass er in der Vorstellung frei vor einem steht. Die Fähigkeit, das Bewusstsein mit der Vorstellung vom Leibe frei in der Konzentration, also unabhängig von den Zugriffen des Willens und von vorzeitigen Assoziationen zu halten, wird auch als Fähigkeit bezeichnet, die Kraft des „fünften Zentrums“, des „visuddha cakra“ (Chakren oder Zentren, siehe dazu auch die geeignete Fachliteratur) oder den „Mut des Planeten Mars“ zu entwickeln, Altes und Bekanntes zu „opfern“, also zurückzulassen und sich ganz neu einer Sache zuzuwenden.

 

Der imaginative Gedanke: Als dritter Schritt wird ein sogenannter imaginativer Gedanke als führende Kraft für die Konzentration hereingenommen und zusammen mit dem Objekt so im Bewusstsein gehalten, dass Vorstellung und Gedanke wie der physische Gegenstand selbst möglichst außerhalb des Übenden bleiben, sozusagen frei vor ihm stehen.

Ein imaginativer Gedanke ist ein Gedanke, der aus der geistigen Welt heraus mit dem Objekt oder der ausgewählten Sache in Beziehung steht. Bei der Übung beziehungsweise in einem Vortrag von Uta K. im letzten Seminar war es beispielsweise die Imagination von Heinz Grill zum Weißdorn:

 

Der Weißdorn nimmt das Licht von der Sphäre,

zieht es relativ stark mit feinem bläulichen Schimmer

in seine stachelige Atmosphäre heran,

organisiert es um die kleinen weißen Blüten

und wirkt auf diese Weise lichtätherzentrierend,

er wirkt damit als Pflanzenstrauch sammelnd

auf die Lebensäthersphäre im Herzen.

 

Die raumschaffende Wirkung: Aus dem in der Konzentration gehaltenen Gedanken werden Ätherkräfte freigesetzt, zuerst Lichtäther, dann auch der sogenannte Wärmeäther. Diese Äther eröffnen einen Raum, in den hinein sich das Wesen der betrachteten Sache offenbaren kann.

 

Ätherkräfte kann man auch als Lebenskräfte bezeichnen, die in der Lage sind, tote Materie in das Lebendige zu erheben und diese Materie einer ständigen Verwandlung oder Transformation zu unterziehen. Die Dynamik des Lebendigen entspringt nicht der Materie selbst, sondern den sie ergreifenden Ätherkräften (siehe zum Beispiel Ernst Marti, „Die vier Äther“, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart).

 

Der rückstrahlende Äther: Das Objekt selber geht dem Betrachter in dem mit „rückstrahlenden Äther“ bezeichneten Phänomen entgegen. Das Objekt zeigt sich nun in seiner geistig-seelischen, engelsartigen Wesensnatur und die Wahrnehmung oder Empfindung dieses Entgegengehens ist im engeren Sinne mit den Worten „geistige Schau“ gemeint. Der rückstrahlende Äther und somit das Entgegengehen ist eine Folge der raumschaffenden Ätherkraft, die aus der in der Konzentration gehaltenen Vorstellung und dem imaginativen Gedanken entspringt.

 

Die Transsubstantiation: In dem Objekt tritt nun eine Verwandlung, eine „Transsubstantiation“ ein, es weichen von ihm beschwerende, belastende und bindende Umstände, es wird „sonnenhaft“, das heißt, wie Heinz Grill es ausdrückte, „es wird zum dem, als was es als Ideal im Weltenganzen schon immer vorgesehen war“.

 

Die Transsubstantiation zeigt sich an der Sache oder dem Objekt rein geistig und zunächst nicht oder kaum physisch-stofflich. Der Begriff ist hier aber zu unterscheiden von seinem Gebrauch in der Kirche: Er meint dort das rituelle Herabrufen des Geistes zur Verwandlung des Brotes und des Weines in den Leib und das Blut Christi in der Eucharistie. Es handelt sich also bei der Konzentrationsübung um einen aktiven, bewusst vom Menschen durchgeführten Prozess und nicht um eine rituelle oder magische Handlung.

 

Zu den weiterführenden Fragen:

  • In einem vergangenen Seminar selbst wurde schon die Frage aufgeworfen, was es genauer bedeute, wenn das Objekt der Übung schließlich „zu dem wird, als was es als Ideal im Weltenganzen schon immer vorgesehen war“ und was es heißt, wenn von dem Objekt belastende und bindende Umstände weggenommen werden.

Was ist zum Beispiel diese Belastung oder Bindung, durch was wurde sie verursacht? War es etwa der heutige Mensch mit seinem oft leichtfertigen und gedankenlosen oder gar egozentrischen Umgehen mit den Dingen? Wäre also ein Naturobjekt, wie etwa eine Pflanze, vor Jahrtausenden oder in einer abgelegenen Gegend noch „im Zustand der Reinheit der vollkommenen Natur“, wie das oft gedacht wird, so dass für dieses eine solche Übung gar nicht notwendig oder sinnvoll wäre (außer zu reinen Erkenntniszwecken)?

  • Aus einer Begegnung zwischen Mensch und Mensch oder auch Mensch und Sache gehen nach Rudolf Steiner immer beide verwandelt hervor, wenn es sich in der Begegnung um einen „christlich-geistigen Prozess“ handelt (siehe zum Beispiel Rudolf Steiner, „Christus und die menschliche Seele“). In der oben dargestellten Übung wurde beschrieben, wie unter der gedanklich-geistigen Aktivität des Menschen eine Verwandlung des Objektes, etwa der Pflanze, stattfindet. Was geschieht aber im Verlauf der Übung mit dem Menschen selbst, wenn man voraussetzt, dass es sich bei ihr um einen christlich-geistigen Übungsweg handelt, wie verwandelt sich der Übende also selbst?
  • Man kann die oben beschriebene Übung durchaus als ein „Heilsgeschehen“ beschreiben, als eine Art heilende Kraft, die aus der konzentrierten, gedanklichen Kraft des Menschen entspringt. Nun sind Heilwirkungen durchaus auch in anderen Zusammenhängen bekannt (Heilung meint hier zunächst die geistig-seelische Dimension, diese wirkt sich aber in der Folge bis in die Physis aus):

So beruht die aufbauende Wirkung durch den spirituellen Lehrer Heinz Grill in einer Begegnung mit ihm vor allem auch darauf, das er dem Gegenüber immer wieder neue und erweiternde, auf geistige Dimensionen bezogene Perspektiven für das Leben eröffnen kann, die aber auch das „Opfer“ einer bewussten Auseinandersetzung und Umsetzung erfordern.


Bei Bruno Gröning beispielsweise scheint die Heilkraft etwas anders gelagert zu sein, sie sprach vor allem zu den durch die Kriegsgeschehnisse des Zweiten Weltkrieges beeinträchtigten Menschen, welche die Heilung mehr rein empfangend entgegennahmen, die aber durch das im Krieg erfahrene Leid oder auch durch die lange Wartezeit vor der Begegnung ebenfalls ein Opfer gebracht hatten (siehe zum Beispiel „Das Phänomen Bruno Gröning“ Dokumentarfilm auf DVD).

 

Wie steht die oben beschriebene Übung im Verhältnis zu  anderen Heilswirkungen, welche Gemeinsamkeiten oder Unterschiede kennzeichnen die verschiedenen Heilkräfte?

 

Abschließende Bemerkung:

 

Die Fragen können als eine Anregung zur weiteren Auseinandersetzung mit der vorgestellten Übungsweise genommen werden. Diese Auseinandersetzung sollte aber durchaus, und darauf muss ich mich als Autor dieser Darstellung auch selber immer wieder hinweisen, auch praktisch, also mit dem Praktizieren der Übung selbst erfolgen und nicht nur theoretisch reflektierend.

 

Beitrag von Günther Pauli